Kriikas Geschichte
Folgt mir... in die Tiefe. Nachts, wenn Wolken den Mond verdunkeln, wenn Fledermäuse durch die Nacht wispern wie verlorene Geister, steigen wir die Stufen hinab, Stiege um Stiege, hinab in den Keller.Dort ist ein Loch, ein alter Brunnen vielleicht, doch er wird nicht verwendet. Ein schwerer Deckel verschließt ihn, rund wie ein Mühlstein, Granit und Bänder aus Eisen.
Warum ist er hier? fragen wir uns, so wie Generationen von Bewohnern, zumindest all die, welche je den Mut aufbrachten, so tief zu wandern.
Warum ist das Loch verschlossen? fragen wir, und kennen die Antwort doch, insgeheim, spüren sie in unseren Gedärmen wie kriechende, instinktive Furcht.
Weil dort unten etwas lauert.
Wir wissen das, genau wie wir wissen, dass wir uns fernhalten müssten, dass dieser Keller und der Brunnen und der Deckel, der ihn verschließt, am besten vergessen würden. Verborgen, verriegelt, und vergessen.
Und doch ertappe ich mich dabei, zurückzukehren, Arbeit und Studien und Ehemann oben unter dem Himmel zurückzulassen, um schweigend neben dem Brunnen zu kauern.
Da ist ein Riss im Deckel, nicht breit genug für mehr als eine Fingerspitze, und an diesem Riss lausche ich, ganz in Gedanken versunken. Wasser wispert, weit entfernt, dazu mein Pulsschlag wie sanftes Rauschen in meinen Ohren. Es beruhigt mich, hier zu sein.
Ich kann Kraft sammeln hier unten, meinen Verstand schweifen lassen, und mit der Zeit kommen mir Ideen. Es sind seltsame Dinge, vielleicht Tagträume (nur kann man hier, in der ewigen Dunkelheit, vom Tage reden?), und ich habe mir abgewöhnt, sie aufzuschreiben.
Phantastische Geschichten sind das, rätselhaft, abstoßend, oder von abgründigem Humor erfüllt, über das Leben von Wesen, wie es sie in unserer Welt nicht geben kann.
Skaven, sollte ich sie wohl nennen, teuflische, abscheuliche Rattenmenschen, die in den Tiefen der Erde lauern, wimmelnd und wuselnd, wie eine Pest, die nur darauf wartet, unsere Welt mit Tod und Krankheit und Krieg zu überziehen. Abertausende, ja Millionen dieser rotäugigen, verkommenen Kreaturen, die uns Menscheit schon lange verschlungen hätten, lägen sie nicht unablässig untereinander im Streit, im vergifteten, intrigenverseuchten Ringen um Rang und Macht und Privilegien.
Seltsam, nicht wahr?
Wie eine gewöhnliche Gelehrte auf solche Gedanken kommen mag? Aber wenn ich lausche...
Gleichwohl. Wen schert's?
Es sind nur Worte. Hirngespinste.
Die Geschichten sind da, eine hier und eine dort, in meinem Kopf gesprossen wie seltsame, farbenfrohe Gewächse.
Genießt sie. Wundert euch, und folgt mir in die Tiefe, ins Leben einer ganz besonderen Kreatur, die, offenbar, zu Höherem erkoren war als all ihre Neider und Feinde erahnen konnten.
Dies ist Kriikas Geschichte.
Postskriptum: Ich bin gerne hier unten. Meine Träume sind sehr klar. In manchen Nächten bilde ich mir ein, regelrecht ihre Stimme zu hören, das Scharren ihrer Klauen, rasche, fast lautlose Schritte.
Später: Ich bin neugierig. Was wohl tatsächlich in diesem Abgrund liegt?
Der Deckel scheint schwer, aber da ist ein Riss, nicht wahr? Mit dem entsprechenden Werkzeug, dem richtigen Hebel...
Die Gelehrte, von der hier die Rede ist, verschwand. Ihre Hinterbliebenen durchsuchten ihr Haus, doch es fand sich keine Spur, bis auf Reihen und Reihen dünner, dicht beschriebener Folianten, eine Art Tagebuch. Der letzte Band fehlt, aber fast ebenso erhellend mag der Anfang sein, der erste Absatz in ihrem ersten Tagebuch:
Ich bin allein, nicht wahr?
Es lebt nichts hier unten, denke ich mir, nichts außer Moder und Schimmel und blinden, lautlosen Würmern.
Worauf also, bei Sigmar, lausche ich hier?